Mörikes Geburtstag lädt dazu ein, inmitten der sprachlichen Leuchtkraft seiner Verse nicht allein den stillen Sänger der Natur zu feiern, sondern zugleich jenen untergründigen Widerhall zu vernehmen, den Adorno in seiner Deutung von Auf einer Wanderung hörbar machte. Was sich auf den ersten Blick als kontemplatives Bild der Harmonie von Landschaft und Stimmung darbietet, erscheint aus ästhetisch-kritischer Sicht als doppeldeutige Geste: Der Schein der Idylle birgt den Sprung ins Andere, das Hinausweisen über das Gegebene.
Indem Mörike den Augenblick der Entrückung in der Natur gestaltet, tritt die Möglichkeit der Verwandlung hervor. Für Adorno war dies kein naives Entfliehen vor der gesellschaftlichen Realität, sondern deren dialektisches Gegenbild: Das Liedhafte, das wie schwerelos von den Lasten der Welt zu sprechen scheint, gewinnt gerade in dieser Leichtigkeit den Charakter von Widerstand. Denn die utopische Spur, die im Erhabenen wie im scheinbar Harmlosen der Idylle aufscheint, verweigert sich der bloßen Reproduktion des Bestehenden.
Heute, da jede Erfahrung von Natur im Schatten ihrer Zerstörung steht, erscheint die Frage dringlicher, ob ein solcher poetischer Augenblick noch möglich sei. Vielleicht besteht Mörikes Aktualität darin, dass seine Verse nicht nur von einer vergangenen Landschaft künden, sondern im Erinnern an ihre Schönheit die Ahnung einer anderen, unverstellten Welt wachhalten. Die vermeintliche Weltflucht bewahrt so die Leerstelle, in der sich die Möglichkeit einer erfüllteren Wirklichkeit andeutet.
So wäre es verfehlt, Mörikes Lyrik im bloß Ästhetischen zu bannen: Sie bleibt – im Bewusstsein ihrer geschichtlichen Bedingtheit – als Kristall des Utopischen lesbar. An seinem Geburtstag gilt es, dieses Echo neu zu vernehmen: dass im Flüchtigen des poetischen Augenblicks das Beharrlichste widerhallt, was von einer besseren Welt kündet.

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