Kultur und Krieg: Adornos Dialektik im Schatten der Barbarei

Kultur und Krieg – sie stehen nicht wie Licht und Schatten zueinander, sondern wie Zwillingsbrüder, deren Ähnlichkeit uns unheimlich wird, sobald man sie nebeneinander sieht. Jedes Gedicht, jede Sinfonie, jede Kathedrale trägt die Möglichkeit des Kanonendonners in sich; jede Verfeinerung des Geistes kann sich, kaum geboren, in eine Waffe verwandeln. Adorno wusste: Die Kultur, die sich rühmt, den Menschen zu erheben, hat ihn doch in die Gräben von Verdun, in die Lager von Auschwitz geführt. Was als Humanisierung begann, kehrte als Barbarei wieder – sublimiert, maskiert, verhüllt im Glanz von Bildung und Ästhetik.

Nach Auschwitz, schrieb er, sei es barbarisch, noch Gedichte zu verfassen – und meinte damit nicht das Ende der Kunst, sondern das Ende der Unschuld. Kultur ist seitdem schuldig, gleichviel ob sie sich in Hochkunst oder in der Kulturindustrie darbietet. Wer noch immer auf ihre rettende Kraft vertraut, verwechselt Trost mit Wahrheit.

Und doch – ohne Kultur, ohne das Wort, das widersteht, bliebe nur das Schweigen der Gewalt. Die Dialektik, die Adorno benannte, bleibt unser Schicksal: Kultur kann nur dann human sein, wenn sie sich ihres eigenen Versagens erinnert. Ihr melancholischer Ernst besteht darin, nicht die Versöhnung zu versprechen, sondern die Wunde offenzuhalten.

Vielleicht liegt darin der einzige Sinn von Kultur nach Auschwitz: nicht zu heilen, sondern unablässig zu erinnern, dass jede Verfeinerung des Geistes die Möglichkeit in sich trägt, sich in ihr Gegenteil zu verkehren. Adorno wäre heute 122 Jahre alt. Sein Denken bleibt die Mahnung, dass Kultur nicht der Gegensatz zur Barbarei ist – sondern deren dialektischer Zwilling.

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