Die Sonderausstellung „Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie“ feiert anlässlich seines 150. Geburtstags den berühmtesten Sohn der Stadt Lübeck, den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. Sie wird vom Buddenbrookhaus verantwortet und findet, da das Stammhaus derzeit umgebaut wird, im St. Annen-Museum statt – dem ehemaligen Augustinerkloster, das schon durch seine Aura eine stille Zwiesprache mit der Geschichte eröffnet.
Im Zentrum steht Thomas Manns politische Entwicklung: die Emanzipation vom reichstreuen Konservativen über den nüchternen „Vernunftrepublikaner“ der Weimarer Jahre hin zum leidenschaftlichen Verteidiger der Demokratie im amerikanischen Exil. Ein Weg, den Kuratorin Caren Heuer als „180-Grad-Wende“ beschreibt. Gewiss, er ist bemerkenswert – zumal für einen Schriftsteller aus großbürgerlichem Haus, aus jener hanseatischen Kaufmannsfamilie, die den Geist des Kaiserreichs in sich trug. Aber ist er wirklich so eindeutig, wie es die Wandmontagen nahelegen? Eine kritische Würdigung.
Montage der Wandlungen: Thomas Mann und die Demokratie
Die Ausstellung über den Dichter, der Demokrat wurde, gleicht einer Liturgie: sie feiert die Wandlung, als sei der Irrweg selbst notwendig gewesen, um im Ziel zu gipfeln. Dass einer, der dem Kaiser huldigte, im Krieg die Trommel schlug und den wilhelminischen Pomp in seiner eigenen Pose wiederholte, am Ende als Anwalt der Freiheit erscheint, ist nicht nur Triumph des Geistes, sondern Trostmittel für eine Gesellschaft, die den Verrat an der Republik nicht eingestehen will. Seine Biographie wird zur Katharsis der Nation.
Im ersten Raum die bürgerliche Herkunft: die wohlbehütete Kindheit in einer Lübecker Kaufmannsfamilie, Musik aus Lohengrin, Wagners Pathos, über allem die dunkle Wucht der Mythen. An den Wänden die Vorbilder: Wagner, Schopenhauer und Nietzsche, die Idolfiguren einer Epoche, die die Kunst in Überwältigung und den Geist in aristokratische Distanz kleidete. So begann sein Weg – nicht in politischer Neutralität, sondern in einer Ästhetik der Herrschaft. Wer sich in solchen Tönen formt, lernt Bewunderung für Macht, ehe er Kritik erfährt. Die Ausstellung meint, hier den Anfang des Weges zu markieren, aber ungewollt zeigt sie die Prägung, die nie verschwindet: dass auch der späte Demokrat noch aus dem Tonfall des großen Stils spricht.
Dann die Kriegsbegeisterung von 1914, die Betrachtungen eines Unpolitischen: Dokumente der Verblendung, doch hier zum didaktischen Kontrast erhoben, damit der spätere Wandel umso heller strahlt. Man möchte glauben, die Stationen ließen sich wie eine pädagogische Linie lesen: vom Irrtum zur Wahrheit, vom Rausch zur Nüchternheit. Aber jede Verwandlung trägt das Alte in sich; der Begeisterte von 1914 spricht im Gegner Hitlers noch mit, nur gedämpft, verwandelt in das Pathos der Gegenrede.
Das Faksimile der Schülerzeitung, die Manuskripte, die Tagebuchseiten: Reliquien einer Moderne, die den Geist ins Objekt bannt. Und dann, in einem abgedunkelten Raum, der eigentliche Augenblick: Vorhang, Stuhl, Kopfhörer, ein Volksempfänger, nicht im Glaskasten, sondern bereitgestellt wie einst. Man soll Platz nehmen, man hört die Stimme aus dem Exil – eindringlich, beschwörend, an die „Deutschen Hörer“ gerichtet. Die Szene gleicht einer säkularen Beichte. Aber gerade im Hören tritt die Dialektik hervor: derselbe Apparat, der hier zum Träger der Wahrheit wird, war einst das Instrument der Lüge. Technik ist indifferent. Sie ist bereit für Wahrheit wie für Lüge, für Aufklärung wie für Suggestion. Die Inszenierung, die Andacht erzwingen will, zeigt in ihrer Form die Zerbrechlichkeit des Gehalts.
„Meine Zeit“ – die Rede von Chicago – wird als Herzstück präsentiert. Man liest ihre Sätze, hört die feierliche Verdammung des Totalitarismus. Doch jede museale Rahmung erzeugt den Verdacht, dass hier das Lebendige in Ritual erstarrt. Die Demokratie, die als Vollendung gezeigt wird, lebt nicht vom Pathos der Zustimmung, sondern von der Selbstkritik, die sie zulässt. Freiheit stirbt, sobald sie sich ausstellen lässt.
Die sechs Stationen, die man als „Zeitenwenden“ bezeichnet, wirken wie ein Kreuzweg: Reichsgründung, Kriegsbegeisterung, Rathenaus Ermordung, Emigration, Exil, Kalter Krieg. Jede Zäsur eine Erschütterung, die zur Wandlung zwingt. Und doch bleibt in jeder Phase die Spur der früheren Blindheit sedimentiert. Der Vernunftrepublikaner der Weimarer Jahre, der sich eher aus Pragmatik zur Republik bekannte, spricht noch aus dem leidenschaftlichen Demokraten im Exil. Konversion ist nie reine Neuerfindung, sondern Erinnerung an Schuld.
Auch die Literatur wird hier als Spiegel politischer Haltung gelesen: von den Buddenbrooks bis zum Doktor Faustus. Aber der Versuch, die Werke auf Bekenntnisse zu reduzieren, verfehlt ihre Dialektik. Im Zauberberg etwa spukt die Ambivalenz zwischen Aufklärung und Krankheit, zwischen Ratio und Verführung, die niemals endgültig entschieden wird. Die Ausstellung will eindeutige Botschaften, doch die Literatur verweigert sie. Sie trägt die Abgründe der Epoche in ihrer Form, unaufhebbar.
Am Ende spricht ein Satz aus dem Zauberberg: „Der Mensch lebt nicht nur sein persönliches Leben, sondern auch das seiner Epoche.“ Wahr bleibt daran, dass keiner sich entziehen kann. Auch wer opponiert, bleibt durchdrungen vom Geist der Zeit. Die Epoche schreibt an jedem Satz mit, auch an dem, der sich gegen sie erhebt. Der Einzelne ist niemals nur Individuum, sondern immer auch Komplize.
So verlässt man die Schau nicht mit dem feierlichen Trost, den sie spenden will, sondern mit der schwereren Einsicht: dass die Demokratie, die hier museal gerahmt wird, schon in Gefahr ist, in Verwaltung und Phrase zu erstarren. Das Bewahren an den Wänden, die Inszenierung als Ritual, bezeugen ihre Zerbrechlichkeit. Demokratie lebt nicht von der Nachzeichnung eines Bildungswegs, sondern von der Fähigkeit, die eigenen Widersprüche auszuhalten. Freiheit, die sich ausstellen lässt, ist vielleicht schon nicht mehr lebendig.

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