Zwischen der stillen Trägheit der Feiertage und dem allmählich nervösen Knistern des Jahreswechsels stellt sich die Frage, wie Fortschritt heute zu denken sei – am besten, so dachte man, bei einem Frühstück im Frankfurter Café Laumer. Dort, wo das „Horkheimer-Frühstück“ bereits seine melancholische Tradition pflegt, könnte nun auch das „Frühstück Adorno“ auf der Karte stehen: ein Omelett, in dem sich die Dialektik von Unterdrückung und Befreiung spiegelt, ein Croissant, das den Antagonismus der Kulturindustrie in Blätterteig übersetzt, und ein Espresso, bitter genug, um die Unmöglichkeit des linearen Fortschritts anzudeuten.
Man setzt sich, betrachtet die Marmelade, und ahnt: Fortschritt ist hier nicht die süße Vollendung, sondern die Spannung zwischen dem, was ist, und dem, was hätte sein können. Das Philosophische zeigt sich bereits im Aufstrich. Dass man die Dialektik mit Butter bestreichen kann, beweist weniger ihre Alltagstauglichkeit als die Tatsache, dass die Totalität des Marktes selbst das Nicht-Identische längst portioniert hat. Der Fortschritt kommt in kleinen Portionen, stets unvollendet, immer verspätet – und doch nie ganz ausbleibend.
Der Kellner fragt nach Nachschlag, und man erkennt: Auch Hoffnung lässt sich nachbestellen, allerdings nie ohne Beigeschmack. Zu viel davon kippt ins Affirmative, zu wenig lässt das Frühstück in Resignation enden. Das Brötchen ist aufgegangen, doch es trägt die Spur seines baldigen Zusammenfallens bereits in sich.
Beim ersten Biss zeigt sich, was Fortschritt vielleicht wirklich ist: flüssig wie das Omelett, zerbrechlich wie die Perspektive der Menschheit, stets bedroht vom Rückfall ins bloß Funktionale. Vielleicht, denkt man, ist Fortschritt tatsächlich ein Croissant – Schicht auf Schicht, deren Halt nur im Bewusstsein ihrer Fragilität liegt. Der Espresso schließlich erinnert daran, dass selbst die schärfste Einsicht bitter schmeckt, solange die Welt, auf die sie sich richtet, unversöhnt bleibt.
So endet der Morgen zwischen Marmelade und Katastrophe: kein Fortschritt im emphatischen Sinn, aber ein Moment der Möglichkeit. Wer Frühstück Adorno bestellt, bekommt keine Erlösung serviert, wohl aber einen Hinweis darauf, warum sie ausbleibt – auf einem Teller, der mehr über den Zustand der Welt verrät als jede optimistische Jahresbilanz.
30.12.25
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